Connections

…ich suche nach dem weißen Adler auf dem weißen Grund. Der Grund ist einfach: wir Menschen sind verrückt geworden. Und das verrückteste ist, dass wir es nicht bemerken.

In meiner Straße zählt mein Mobilfunkvertrag sicherlich zu den ältesten - der dazugehörige Apparat tut dieses auch. Den Vorgänger der Funke besaß ich seit den frühen Neunzigern. Damals glichen die Geräte in Gewicht und Form eher 17,5er Kalksandsteinen, versehen mit einem Tragegriff, und der Minutenpreis lag bei einem Vermögen.

Tourneen fuhr man nicht per GPS, sondern per Schell-Atlas, die Post schoss nicht rund um die Uhr durchs Glasfaserkabel, sondern wurde bis mittags vom Boten verteilt und der tragbare Pingelkasten galt als reines Arbeitsgerät exotischer Profis und Branchen. So weit, so wunderbar.

Dann kam der Fortschritt. Und schritt mit der Gesellschaft fort. Wohin?

Vom Kind bis zum Greis besitzt beute fast jeder ein SMartphone. Seine Omnipräsenz bestimmt und übernimmt nahezu alles: es fungiert als Büro, Radio, Zeitung, Fernsehapparat, Kino, Kellner und Kamera, steuert das Verhalten auf dem Gehsteig, skaliert Schritte und Pulsschläge, bestimmt Tun und Themen beim Bahn- und Autofahren, dient als Taktgeber fürs Kauen beim Essen, Freunde sitzen gemeinsam im Café am Tisch und kommunizieren… …mit dem SMartphone. Sogar das Liebesspiel wird unterbrochen, weil der smarte Knochen klingelt.

Ein paar Verrückte gibt es noch, die kein SMartphone nutzen. Sie stehen außen vor. Insbesondere vor den Türen digitaler Tummelplätze wie Foren, Games oder SM (social media). Und ihrem Sog.

Zugegeben, in meinem Fall war der Entscheid, kein SMartphone zu nutzen, anfangs reiner Faulheit geschuldet - ich hatte einfach keine Lust, ein neues System zu lernen. Dann wurde er Abstand zu den anderen größer. Und mein Beobachterposten erkennbarer. Vollkommen bewusst nahm ich ihn an. Das SMartphone, das eine wunderbare Freundin vor etlichen Jahren mir vermachte, schläft bis heute seinen gemütlichen Dornröschenschlaf in meinem Regal.

Den Breaking Point erreichte die SMarte Welt in meiner Welt vor etwa 1,5 Jahren, als sie die selbst definierte kritische Masse von 50% überschritten hatte. Seither habe ich aufgehört, den innerlichen Screenshot zu ziehen, wann immer ich die öffentlichen Verkehrsmittel besteige. Inzwischen fahren über 95% aller Passagiere virtuell, anstatt wirklich, viel mehr können es somit kaum werden. Die Hälfte von ihnen trägt mittlerweile Headsets - Tendenz: rapide steigend.

SMart hat Folgen: In den Öffis wird nicht mehr geflirtet. Man spricht nicht mehr mit Fremden. Lächelt einander nicht mehr zu. Man sieht sein Gegenüber einfach gar nicht mehr. Nicht einmal die große Liebe, wenn sie direkt vor einem sitzt. Auch nicht den Herbst, die Blumen oder die Sterne. Man rempelt auf dem Gehsteig. Oder beim Umstieg. Wenn der Busfahrer im Doppeldecker per Mikro nach dem Wetter fragt, klickt der SMarte (ohne Headset) auf ein Icon, um sich zu ärgern, dass es regnet.

Ganz wenige Verrückte schauen aus dem Fenster, um sich an strahlendem, echtem Sonnenschein zu erfreuen.

Ich sehe was, was Ihr nicht seht…

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Ich beobachte. Und staune. Über Ihren Highspeed, zum Beispiel beim Tippen. Und beim Wischen. Sie werden immer schneller, immer multitaskingfähiger: Tippen, Telefonieren und Essen gleichzeitig. Der Wechsel zwischen den unzähligen Kontakten der zahllosen SMs geht so windig, dass ich beim bloßen Beobachten kaum mehr mitkomme. Die Worte werden kürzer. Die Akronyme länger. Textflecke werden aufgehübscht mit endlosen Emojis, das meist genutzte scheint das rote Herz, manchmal über ganze Zeilenlängen hintereinander, zum Inflationskollaps entwertet.

Viele spielen Tetris. Oder ballern bis zum Tennisdaumen - oder lassen Ballern in Filmchen, die - trotz strobeartiger Schnittfrequenz - nur über erste Sekunden anlaufen, bis es weiter geht zum nächsten Fetzen Film.

Sie laufen durch Städte, die sie nie gesehen haben. Und filmen. Meist sich selbst. Manchmal die Umgebung. Wer schaut die Filme nachher an? Mit welchem Fokus?

Ich staune. Wie machen sie das alles bloß? Wie verarbeiten sie all das, was da in sie reingeht. Wer verarbeitet all das, was da aus ihnen rauskommt? Wie formen sie Worte, Sätze, Perspektiven, Positionen in solchem Takt? In welcher Tiefe? Mit welcher Präzision? Wie verstehen sie diese Welt, die stündlich komplexer wird und komplizierter. In welcher Tiefe? Sie sind verkabelt und vernetzt mit aller Welt. Bis in den letzten Winkel. Rund um die Uhr. Mit wem sind sie verbunden? In welcher Tiefe?

Von außen sieht das aus, wie eine große Orgie. Fastfoodphrasen, Fließband, Bulimie. Keine Frage, bei dieser Frequenz kann man kaum noch kauen, beißen und verdauen. Ich weiß, man nennt das Fortschritt. Wo geht der hin? Mit ihnen? In ihnen? Um sie herum?

Von außen sehen sie aus, wie eine große, träge Masse, die extrem geschäftig geradewegs in den Tiefschlaf sinkt. Ferngesteuert. Verheddert zwischen Likes und Links und Algorithmen. Manche - selbst intelligente -unter ihnen bemerken nicht einmal, wie ihr einstmals tiefrotes Blut sich langsam braun färbt.

Aus der Glücks- und Sterbeforschung weiß man, dass am Ende nicht Masse sondern Klasse zählt. Sonst nichts.

Intensive Augenblicke. Mit Dir selbst, der Natur, einer Tätigkeit, einem anderen Menschen. Hingabe und Tiefe. Momente mit Bedeutung. Alles andere ist belanglos. Also nichts.

Wenn dauernd kein SMartphone piept, vibriert und klingelt, wird es still. Dann wird die grause innere Leere in uns fühlbar. In und mit ihr kehrt Bedeutsamkeit zurück. Also echtes Leben.

Wenn ich mein Retro-Handy vor Fremden auf den Tisch lege, höre ich die meisten sagen, dass dies das beste Handy war, das sie jemals hatten. Demnach haben sie sich mit ihrem SMartphone downgegraded?

Sind sie denn verrückt geworden?